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Im Alltäglichen das Wunderbare sehen

Gerlinde Kretschmann trägt sich ins Goldene Buch der Stadt ein und dankt den Ehrenamtlichen des Freundeskreises Asyl und der Weltläden.
Fast wäre Gerlinde Kretschmann ja eine „Fast-Gerlingerin“ geworden. Aber Winfried Kretschmann und seine Frau hatten sich 2012, nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten, gegen das Leben in der Dienstvilla des Landes beim Schloss Solitude und für ihren Heimatort Sigmaringen-Laiz entschieden. Dass das Schloss seit 1942 nicht mehr zu Gerlingen gehört, weiß Gerlinde Kretschmann. Doch bei ihrem Besuch hier hat sie auch viel Neues erfahren. Eingefädelt hat den Abend mit der First Lady Dr. Markus Rösler, Landtagsabgeordneter der Grünen, der in Gerlingen aufgewachsen ist.

In erster Linie sollte es am Abend des 17. Januar im Rathaus, im Weltladen und im Petrushof darum gehen, den vielen Ehrenamtlichen zu danken, die im Freundeskreis Asyl und in den Weltläden in Gerlingen und den Nachbarorten aktiv sind. Natürlich lässt man sich im Rathaus die Gelegenheit nicht entgehen, die herzliche und bodenständige Ministerpräsidentengattin um einen Eintrag ins Goldene Buch der Stadt zu bitten. Mit dem Aphorismus der amerikanischen Schriftstellerin Pearl S. Buck, „Die wahre Lebenskunst besteht darin, im Alltäglichen das Wunderbare zu sehen“, verewigt sie sich dort. Fast scheinen ihr dabei die Büsten der Gerlinger Missionare Johannes Rebmann und Johannes Zimmermann wohlwollend über die Schulter zu schauen. Über seine Verwandtschaft mit Ersterem klärt Markus Rösler die Erste Dame des Landes auf, während Bürgermeister Georg Brenner über das große ehrenamtliche Engagement in Gerlingen, seine heftig verteidigte Eigenständigkeit, seine auch durch die Arbeit der Missionare erlangte frühe Weltoffenheit, die gute Infrastruktur und die Verbindungen zur Familie Schiller spricht.

Eng gedrängt stehen die Menschen dann wenig später im Weltladen. Hier lässt Anja Meier vom Team der Ehrenamtlichen in aller Kürze die Geschichte des Weltladens Revue passieren. Sie geht zurück auf eine Idee des FDP-Gemeinderates Peter Zydel und die Initiative von Anja Meiers Mutter Brigitte Meier. „Viele begreifen gerade jetzt, dass fairer Handel uns alle betrifft und dass wir von hier aus etwas ändern können“, sagt Anja Meier und lässt ein paar Zahlen sprechen: Seit 500 Tagen gibt es den Gerlinger Weltladen an der Stadtbahn-Endhaltestelle. Rund 500 Stunden ehrenamtliche Arbeit seien im vergangenen Monat vom Team geleistet worden und pro Tag habe der Laden etwa 500 Euro Umsatz.

Die nächste Station der First Lady ist der Petrushof wenige Schritte weiter, in dem sich auch zwei, drei Dutzend Flüchtlinge eingefunden haben. Hier wird Gerlinde Kretschmann von Pfarrer Dr. Martin Weeber begrüßt. Der macht sich in seinem Grußwort Gedanken über die Eigenschaften und den Stellenwert von beruflichen, ehrenamtlichen und „irregulären“ Ämtern. Irreguläre Ämter hätten etwa Michelle Obama und Gerlinde Kretschmann inne (gehabt). Diese Art von Amt, so Weeber, „lebt davon, dass sie mit Charme und Energie ergriffen werden.“ Die Lacher auf ihrer Seite hat die schwäbische First Lady, als sie sich bei ihrer Rede artig dafür bedankt, in einem Satz mit Michelle Obama genannt zu werden. Ein Unterschied sei allerdings schon die Tatsache, dass sie ihre Kleider immer selbst kaufe. „Ich bin ja pensionierte Lehrerin“, sagt sie und fasst sich dabei an ihre schwarze Weste, „und ich kann mir hin und wieder was leisten.“

Was Charme und Herzlichkeit angeht, muss diese authentische First Lady sich sowieso nicht verstecken. Sie lobt die „Hilfe zur Selbsthilfe“, die dank fairen Handels möglich sei und die Tatsache, dass es in Weltläden keinen Ramsch, sondern immer „allerhöchste Qualität“ gebe. Sie plaudert über ihre Vorliebe für fair gehandelte getrocknete Mangos und Kaffee und dankt nicht nur den vielen Ehrenamtlichen herzlich, sondern auch der Stadt dafür, dass diese für zwei Jahre die Ladenmiete übernommen habe. Und sie ruft alle Anwesenden dazu auf, sich ehrenamtlich zu engagieren: „Glauben Sie mir, ob Sie den Kopf rechts oder linksherum drehen, Sie finden immer etwas zu tun!“

Uta Umpfenbach, Gerlinde Wolf, Birgit Barth, Isolde Onken und Anja Meier von den Weltläden von Ditzingen, Hemmingen, Korntal und Gerlingen stellen ihre Arbeit in aller Kürze anhand von einigen interessanten Fakten, Daten und Beispielen vor. Zwei Gymnasiastinnen, die Neuntklässlerin Cora Stürner und die Zehntklässlerin Helena Buchenau, erzählen, wie der zweimal wöchentlich geöffnete „fair trade point“ an der Schule angenommen wird und dass sie bald ein Seminar für Schüler-Weltläden besuchen wollen.

Außerdem spricht noch Ricarda Gregori über die vielfältige Arbeit der Ehrenamtlichen im Freundeskreis Asyl. Viele, erzählt sie, arbeiteten als Paten, begleiten Familien im Alltag, geben Deutschunterricht, organisieren Nachmittage in der Handarbeitsgruppe und dem Begegnungscafé. Als Ricarda Gregori erwähnt, dass zwei Frauen der ersten Stunde, Elisabeth Löwe und Helga Frommholz, anwesend sind, steht Gerlinde Kretschmann spontan auf und dankt den beiden langgedienten Ehrenamtlichen mit Handschlag. Nicht nur in diesem Moment meint man sie fast zu sehen, die vielen Herzen der Gäste im Petrushof, die „ihrer“ First Lady zufliegen.

Zu Ende geht der Abend mit einem von Markus Rösler gespendeten Ständerling, um den sich in der Hauptsache Renate Hinzel und Ewald Bischoff gekümmert haben. Weil so viele, auch einige Flüchtlinge, ein wenig mit Gerlinde Kretschmann plaudern wollen, macht sich die First Lady fast zwei Stunden später als geplant auf den Heimweg. Sie ist nicht im Rolls Royce gekommen. Aber sie hat auf der Heimfahrt zumindest den „Rolls Royce der Schokoladen“ in der Handtasche, wenn man Markus Rösler glaubt. Der hatte das Geschenk des Weltladen-Teams an Gerlinde Kretschmann, die Gerlinger Sonderedition der Zotter-Schokolade, so kommentiert: „Du kennsch Zotter? Des isch net der Daimler unter den Schokoladen. Des isch der Rolls Royce.“ 

Barbara Bross-Winkler

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