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Was tun? Unsere Umweltkolumne

Hey Bleifuß, darf’s ein bisschen mehr sein?

Vielleicht gehören ja auch Sie zu den Leuten, die so gut Auto fahren, dass Beifahrer auf längeren Reisen auch mal einschlafen. Ist das nicht das schönste Kompliment für den Fahrer? Kaum verlässt man deutsche Autobahnen, fällt es leicht, gut zu fahren. Kein Möchtegern-Rennfahrer (Frauen sind mitgemeint) klebt an Ihrer Stoßstange, weil Sie sich erdreisten, mit 130 Stundenkilometern einen LKW zu überholen! Keiner haut die Lichthupe rein, dieses Laserschwert des kleinen Mannes. Also gut, fast keiner. Alle fahren ähnlich schnell und hinten am Horizont taucht nie einer auf, der 150 Stundenkilometer schneller fahren will als Sie. Es ist einfach toll, stressfrei über britische, belgische, französische - quasi alle Autobahnen weltweit - zu gondeln!

Kaum kommt man erholt aus dem Urlaub zurück auf die heimische Autobahn, herrscht wieder Krieg. Sofort gibt es Staus, Unfälle, Blaulicht, Helikopter. Wer hat das noch nicht erlebt?! Ich schäme mich ja angesichts eingeschüchterter ausländischer Reisender oft sehr für meine Mitbürger. Und ärgere mich über ausländische Raser, die es auf deutschen Autobahnen mal so richtig krachen lassen. Müssen wir den Tod Unschuldiger unter „natürlichem Schwund“ verbuchen?

Unsere Autobahnen mögen bezogen auf die Zahl der gefahrenen Kilometer die sichersten deutschen Straßen sein – dennoch ist überhöhte Geschwindigkeit die mit Abstand häufigste Unfallursache. Kann es ein Argument fürs grenzenlose Weiterrasen sein, dass „nur“ 12 bis 13 Prozent der tödlichen Verkehrsunfälle in Deutschland auf den Autobahnen passieren? Ganz egal, auf welchen Straßen 2019 in der EU mehr als 22.000 Menschen ihr Leben verloren haben: Es sind 22.000 zu viel. Just 2019 sprach ja Verkehrsminister Andreas Scheuer davon, dass es gegen „jeden Menschenverstand“ sei, Tempo 130 auch auf deutschen Autobahnen einzuführen, wie es eine Regierungskommission (!) vorgeschlagen hatte, u.a., um das Klima zu schützen. Viele fanden diesen Satz von Scheuer bescheuert, nicht nur, weil er damit im Grunde der Weltbevölkerung „jeden Menschenverstand“ abspricht. Immerhin 1,9 Millionen Tonnen CO2 könnte ein Tempolimit von 130 auf Autobahnen laut Berechnungen des Umweltbundesamtes einsparen. Besser als nichts! Ich persönlich könnte auch mit Tempo 140 leben, wie die Polen. Aber kein Tempolimit kann nicht die Lösung sein. Wie sagte kürzlich ein Mitbürger so treffend: „Jedes Land um uns herum kennt Tempolimits auf Autobahnen…  Nur wir tun so, als würden uns bei 130 die Eier abfallen.“

Barbara Bross-Winkler

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