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Wirtschaft ohne Wachstum ? - Wirtschaft neu denken!

Eine Präsentation von Klaus Majer und Rolf Stiefel am 11.9. in der VHS (1. Teil)

 

Das Unbehagen über die ökologischen, sozialen und ökonomischen Krisen unserer Zeit, in der „Wirtschaftswachstum“ zur Überwindung dieser Krisen von Wirtschaft und politischen Entscheidungsträgern als das Heilmittel gepriesen wird, hat die BesucherInnen wohl veranlasst, sich die Präsentation, zu der die Gerlinger Grünen eingeladen hatten, in der VHS anzuhören. Nach Begrüßung durch Stadtrat Joachim Hessler gab Klaus Majer einen Überblick. Er nannte zuerst die „Gründe“ für die Forderung nach permanentem Wachstum.

Es werde geglaubt, mit Wachstum seien alle Probleme zu lösen, mehr Wachstum bedeute mehr Wohlstand und die Reduzierung der Arbeitslosenzahl. Auch die Lösung der Staatsschuldenkrise sei nur mit Wachstum zu erreichen. Aber dieser nahezu unumstößliche Glaube müsse hinterfragt werden. Denn trotz Wachstum gehe die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. Außerdem gebe es - über einen längeren Zeitraum betrachtet - keine den Wachstumsraten entsprechende Reduzierung der Arbeitslosigkeit. Was die Schuldenkrise anbelange, sei diese zumindest teilweise durch eine Vermögensabgabe o. ä. zu lösen.


Die derzeitigen Messgrößen für die Stärke eines Landes im internationalen Vergleich sind das Bruttoinlandprodukt (BIP - Gesamtwert aller Güter, die innerhalb eines Jahres innerhalb der Landesgrenzen einer Volkswirtschaft hergestellt wurden und dem Endverbrauch dienen) und seine prozentualen Wachstumsraten. Das BIP sei nur bedingt als Wohlstandsindikator geeignet, weil es nur die Produktionsleistung eines Landes, nicht aber die Zufriedenheit der Menschen widerspiegele; jeder Unfall und damit Schaden, trage paradoxerweise zum Wachstum bei; Schattenwirtschaft, Selbstversorgung, unbezahlte Tätigkeiten wie Erziehungs- und Hausarbeit, Heimwerken, Ehrenämter seien nicht enthalten - ebenfalls nicht Überlastung der natürlichen Lebensgrundlagen/Ressourcenverbrauch.

Deshalb suche die Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ des Bundestages nach einer Alternative für das BIP. Ein positives Ergebnis sei, wie von Mitgliedern zu erfahren war, wegen der unterschiedlichen Auffassungen der politischen Parteien leider kaum zu erwarten.


Klaus Majer erklärte, wie in unserer „kapitalistischen“ Marktwirtschaft Wachstumszwang und Wachstumsspirale entstehen (nach Professor Binswanger): 

  1. Kapital (Geld, Grund und Boden, Anlagen, Patente) ist knapp und hat Renditeerwartungen.
  2. Aus Kapital wird leistungsloses Einkommen erzielt.
  3. Dank Zins und Zinseszins kommt es zu einer exponentiellen Vermehrung der Vermögen und zur Suche nach gewinnbringenden Anlagemöglichkeiten.

Der bloße Austausch von Waren und Dienstleistungen gegen Geld in einer nicht kapitalistischen Marktwirtschaft erzeuge dagegen keinen Wachstumszwang.

Majer wies darauf hin, dass wir in der Diskussion des Wachstumsthemas global folgende Fakten berücksichtigen müssen:

  • Bevölkerungswachstum.
  • Nachholende Entwicklung aufgrund der Bedürfnisse einer Mehrheit der Menschen auf unserem Globus.
  • Biokapazität und ökologischer Fußabdruck: „Wir verbrauchen heute schon anderthalb Planeten!“
  • CO2 Anstieg muss gegenüber 1990 um 50% reduziert werden, um das 2° C- Ziel zu erfüllen.

Diese Dilemma habe Tim Jackson in seinem Buch „Wohlstand ohne Wachstum“ schon 2009 so formuliert:

Die Gesellschaft steckt in der Zwickmühle. Dem Wachstum abzuschwören bedeutet, einen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenbruch zu riskieren. Streben nach Wachstum bedeutet, die Ökosysteme zu gefährden, von denen langfristig unser Überleben abhängt.

Abschließend erläuterte Majer kurz folgende Modelle für eine andere Wirtschaftsweise, die mit weniger und/oder anderem Wachstum oder ganz ohne Wachstum eine Lösung sehen:

  • Die Ökosoziale Marktwirtschaft (Prof. Radermacher u. Global Marshall Plan Initiative).
  • Der Green New Deal (Grüne).
  • Cradle to cradle (Prof. Braungart).
  • Die Gemeinwohlökonomie (Felber).
  • Die Postwachstumsökonomie (Prof. Paech).

In allen Modellen werde ein grundlegender Umbau unserer Wirtschaftsweise mit dringend nötigen Reformen sowohl auf mentaler wie auf struktureller Ebene gefordert. Einige der erwähnten Aufgaben seien: Bändigung und Neuregulierung der Finanzmärkte, nationaler und globaler sozialer Ausgleich, hohe Steigerung von Energie- und Ressourceneffizienz, ökologische Steuern u. a. mit Entlastung des Faktors Arbeit und Belastung von Ressourcen, Maschinen etc.

Den 2. Teil der Veranstaltung übernahm Rolf Stiefel, der einen Entwurf der Akademie Solidarische Ökonomie ausführlich darstellte. Darüber berichten wir an dieser Stelle in der nächsten Woche.

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