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Was tun? Unsere Umweltkolumne

Gans schön lecker

Nicht wahnsinnig vieles, sollte man meinen, wird im Lauf der Jahre besser. Aber ist es nicht gut, dass immer mehr Menschen darüber nachdenken, ob bzw. welches Fleisch sie auf ihrem Teller haben wollen? Wie wir mit unseren Mitgeschöpfen umgehen? Bei mir hat vor mehr als 20 Jahren weniger der Besuch in einem Schlachthof, sondern viel mehr der in einem Schweinestall ohne Auslauf dazu geführt, dass ich ein Jahr lang ganz auf Fleisch verzichtet habe.

Dann ließ der Duft einer Roten Wurst auf dem Weihnachtsmarkt mich schwach werden. Ein wenig ist das wohl wie bei Alkoholikern, die wieder einsteigen ins Trinken. Ich sagte mir dann (oder redete mir ein?), dass ich es mit meinem Gewissen vereinbaren kann, ab und an Fleisch von Tieren zu kaufen, die vor ihrem Tod ein ordentliches Leben hatten: Bei Wild und Schafen ist das einfach, sie sind quasi immer draußen. Kaum zu toppen ist aber, dass wir in Gerlingen Geflügel bekommen, das hier groß geworden ist und viel Freilauf hat. Hühner beispielsweise, die auf dem Hof von Eva und Martin Maisch ziemlich glücklich durch ihr Leben gackern, bevor sie zu Suppenhühnern werden. Und Gänse vom Grundhof von Sandra und Martin Sickinger, die einen zertifizierten Bioland-Milchviehbetrieb haben.

Vor 30 Jahren hatten Heide und Rudolf Sickinger mit zehn Gänseküken angefangen, die sie für Freunde großzogen. Mehr Spaß als Nebenerwerb. Später, als Sohn Martin den Betrieb übernommen hatte, waren es auch mal 400 Küken, mehr Nebenerwerb als Spaß womöglich, vielleicht ja auch beides gleichermaßen.

Heuer kamen 180 federleichte, zwei Wochen alte Küken aus einer bayerischen Brüterei nach Gerlingen. Ein bisschen habe ich das Leben der bezaubernden Truppe mitverfolgt. An einem heißen Junimittag düsten die sogenannten Gössel aufmerksam und hyperaktiv durch den schattenspendenden Stall. Ein paar Wochen später beobachtete ich die groß gewordenen, wunderbar weißen Gänse draußen auf der Weide. Und zwei Tage vor Sankt Martin durfte ich zusehen, wie viel Arbeit das sanfte Schlachten, das Entfedern, Ausnehmen und Säubern der Gänse macht. Sechs bis acht Mal im Jahr schlachten die Sickingers, je nach Bestellungen. Kurz vor Weihnachten ist es nochmal soweit. „Bei uns haben die Tiere keinen Stress“, sagt Martin Sickinger. Deswegen freuen wir uns heuer an Heiligabend nicht auf Raclette, sondern auf Bio-Gänse vom Grundhof. Die Kinder, seit Längerem bemüht um Fleischverzicht, machen mit. Sie bleiben aber dran an ihren schwachen Eltern auf dem schwierigen Weg zum immer fleischärmeren Leben.

Barbara Bross-Winkler

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